Louis oder Der Ritt auf der Schildkröte

Buchseite und Rezensionen zu 'Louis oder Der Ritt auf der Schildkröte' von Michael Hugentobler
3.1
3.1 von 5 (9 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Louis oder Der Ritt auf der Schildkröte"

Als Hans Roth wurde er 1849 in einem Bergdorf geboren, als Louis de Montesanto – Weltreisender, Bestsellerautor und Hochstapler – stirbt er 1921 in London. 13-jährig floh er in die Welt: Mit einer Schauspielerin wohnte er in Paris, in London wurde er zum Butler, mit einem Gouverneur schiffte er sich nach Perth ein. Er verliebte sich bei den Aborigines, jagte Warane, heiratete in Sydney und zog mit einem Wanderzirkus durchs Land. Zurück in London dichtete er seinem erstaunlichen Leben noch so einiges hinzu. Michael Hugentobler erzählt das Leben eines wagemutigen Exzentrikers, der stets darauf bedacht war, frei und unabhängig zu bleiben in der großen weiten Welt.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:192
EAN:9783423281522

Rezensionen zu "Louis oder Der Ritt auf der Schildkröte"

  1. 3
    17. Apr 2018 

    Ein tragischer Baron von Münchhausen...

    Geboren 1849 in einem winzigen Bergdorf in der Schweiz, erfuhr Hans Roth von klein auf nur die Abneigung seiner Mutter. Sein Vater, ein Säufer, fuhr sich bald nach seiner Geburt mit der Flasche in der Hand zu Tode, und Hans, kleinwüchsig wie er war, wurde nach der Wiederheirat seiner Mutter in den Stall verbannt. Derart ungeliebt, empfand Hans es als einen Akt der Befreiung, als er mit 13 Jahren beschloss, einfach wegzugehen.

    Damit beginnt das außergewöhnliche Abenteuer des armen Bauernjungen, der sich fortan Louis de Montesanto nennt und jede Gelegenheit nutzt, die sich ihm bietet. Der Weg ergibt sich dabei stets zufällig, abhängig von den Begegnungen und Empfehlungen, die sein Leben kreuzen. Er reist mit einer Schauspielerin nach Paris, wird in London zum Butler und landet schließlich mit einem Gouverneur in Australien. Jede Tätigkeit wird ihm rasch langweilig, so dass es ihn immer weiter zieht und er schießlich auch bei den Aborigines landet. Dort verliebt er sich, muss dann aber fliehen, gründet danach in Sydney eine Familie und fährt schießlich zufällig nach London, wo ihn die Presse mit offenen Armen empfängt.

    Zig Zeitungsartikel erscheinen in der Folge mit den Abenteuern des Louis de Montesanto, vieles dabei von diesem noch hinzugedichtet, bis ein solches Flechtwerk an Fiktion und Wahrheit entsteht, dass Louis womöglich selbst nicht mehr weiß, was stimmt und was nicht. Auch das Buch, das nun herausgegeben wird und von dem so erstaunlichen Leben des Freigeistes und Hochstaplers erzählt, bedient sich dieser Mischung aus Realität und Dichtung. Doch wie er schon zuvor angemerkt hat:

    "Das Konzept der Wahrheit schien dabei zweitrangig zu sein, die Banalität der Wirklichkeit vermischte sich mit der Phantasie..." (S. 70)

    Was ist dieses Buch nun überhaupt? Ein Roman? Nicht wirklich. Ein Reisebericht? Passt auch nicht. Eine Biografie? Wohl kaum. Michael Hugentobler bezeichnete es selbst in 'Autoren im Gespräch' (bei Whatchareadin) als historischen Roman mit einem wahren Kern und viel Fiktion. Ein wenig fühle ich mich hier an eine 'Matrjoschka' erinnert - hier greifen Fiktion und Realität auf allen Ebenen ineinander, wodurch diese irgendwie auch miteinander verschmelzen. Louis de Montesanto hat ein wahres Vorbild, nämlich den Schweizer Entdecker und Abenteurer Louis de Rougemont (1847 bis 1921). Liest man dessen Lebensbeschreibung, so stellt man rasch fest, dass sich viele Eckdaten auch in dem Roman wiederfinden. Aber hier möchte ich den Autor selbst zu Wort kommen lassen ('Autoren im Gespräch'):

    "Ich glaube nicht, dass ich mich allzu sehr an die Wahrheit halten muss, denn das ist ja gerade das Schöne an einem Roman. Somit haben viele Personen in der Wirklichkeit existiert, etwa die Schauspielerin, der Bankier, der Gouverneur. Ihre Charaktere habe ich oft verändert und sie verhalten sich jetzt im Buch unter Umständen ganz anders als sie dies im echten Leben taten. Das alles ist natürlich auch ein Spiel mit der Illusion: Wie viele Details braucht ein Leser, um zu glauben, etwas sei wahr, auch wenn es allenfalls erfunden ist."

    Also ist das ganze ein Schelmenstück? Vielleicht. Ein neuer Baron von Münchhausen? Mag sein, aber dann ein tragischer. Denn der abenteuerlustige und freiheitsliebende Exzentriker, der sich nie wirklich bindet und Menschen nur dazu benutzt um seine Bedürfnisse zu befriedigen, der zeitweise Anzeichen eines Psychopathen aufweist und sich am Ende zweimal neu erfunden haben wird, dieser Hans oder Louis oder wer auch immer wird letztlich als Hochstapler entlarvt und fällt dann tief. Sympathisch muss ein Charakter in einem Buch nicht sein, damit er für mich interessant ist. Aber greifbar muss er sein - und das war hier leider nicht der Fall. Distanziert beschreibend erfährt der Leser im Stile eines nüchternen Berichtes von den Geschehnissen, allenfalls verwundert, gelegentlich vielleicht auch abgestoßen vom Verhalten des Hauptcharakters. Aber viel zu selten erhält man auch nur eine Ahnung von dem Gefühlsleben oder den Gedanken von Louis, und das hätte es gebraucht, damit mich die Erzählung packt.

    "Wenn er tief in sich nach Schönheit forschte, erstrahlte dort Louis, der große Louis, in Jahren der Vorbereitung geformt, Tag für Tag zur Perfektion gefeilt und geschliffen und auf Hochglanz poliert. Louis war ein Kunstwerk, in sich vollkommen, er war sozusagen aus dem Universum herausgekraxelt, hatte sich aus dem Nichts materialisiert, um in der realen Welt Form anzunehmen (...) Aber nun, ausgerechnet jetzt, begann aus der Ferne die Stimme von Hans Roth zu klagen: Dies alles sei doch letztlich ein großer Fehler gewesen. Ein unterträglicher Widerling und erstklassiger Mistkerl sei dieser Louis, ein Untergang mit Bart und Haaren." (S. 147 f.)

    Die Beschreibung des Buches und die überaus gelungene und liebevolle Gestaltung - ein hochwertiges Hardcover mit schlichtem aber passendem Schutzumschlag, innen zeichnerische Darstellungen vieler Szenen bei den Aborigines, der Kapitelanfang jeweils mit einem Großbuchstaben eingeleitet, auf dem derselbe Herr sitzt wie auf der Schildkröte des Schutzumschlags - haben mich sehr neugierig auf das Buch werden lassen. Doch die Lektüre selbst konnte mich leider zu keiner Zeit begeistern. Der Hauptcharakter blieb mir fremd, seine Handlungsweisen ebenso, und selbst als Schelmenstück war es mir zu sachlich und distanziert geschrieben. 'Episoden aus dem Leben eines Hochstaplers' habe ich an einer Stelle notiert - und mir scheint, dies kommt dem Ganzen am nächsten.

    Schilderungen eines Freigeistes, der letztlich über die Schattenseiten der Unabhängigkeit stolpert. Für mich ein distanziertes Leseerlebnis, von dem ich mir mehr versprochen hatte...

    © Parden

  1. Skurilles Abenteuer des Louis de Montesanto

    Skurriles Abenteuer des Louis de Montesanto

    Michael Hugentobler begibt sich mit seinem Protagonisten auf eine skurrile Reise, bei der der Leser sich oft fragen wird, wie hoch der Wahrheitsgehalt des gelesenen wohl sein mag.

    Hans Roth wurde in einem Bergdorf in der Schweiz geboren. Er ist von kleinem Wuchs und daher wirkt der Kopf, der die normale Größe hat, überdimensional riesig, was ihm oft Spott einbringt .
    Sein Vater starb früh, seine Mutter hatte nicht viel für ihren Sohn übrig. Mit 13 Jahren nahm er sein Schicksal selbst in die Hand in dem er sich auf die Reise machte.
    Er arbeitet für kurze Zeit bei verschiedenen Leuten, doch er konnte einfach nicht sesshaft werden, auch wenn er es meist gut hatte an den Orten zu denen es ihn verschlagen hatte.
    Seinen Namen änderte Hans bald in Louis de Montesanto, und als solcher verschlug es in zu den Aborigines, wo er viele fantastische Dinge erlebte. Für kurze Zeit schien er dort sogar glücklich gewesen zu sein.......

    Der Roman bezieht sich viel auf das Buch das Montesanto über sein Abenteuer schrieb. Ein Abenteuer, dass dem Leser oft abwegig erscheint, welches aber auch sehr interessant war.
    Während des Lesens habe ich mich oft gefragt, was hinter Louis Reiselust steckt. Insgesamt konnte ich wenig nachvollziehen was dieser Mann aus seinem Leben machte. Der Autor ließ mich selten an Gefühlen des Protagonisten teilhaben, dass habe ich sehr vermisst. Ich hatte immer das Gefühl mir würde etwas fehlen, hätte gern verstanden wie Louis zu dem Menschen werden konnte, was seine Beweggründe für manch hirnrissige Handlung war.
    Am Ende des Romans musste ich erkennen, dass vieles nicht so wahr wie vermutet. Das hat mir gut gefallen, es wirft doch ein anderes Licht auf die Geschichte, erklärt allerdings auch nicht gänzlich alles.

    Ein Lichtblick dieser Erzählung war für mich die Suche von Old Lady Long, die auf den Spuren des Louis de Montesanto wandelt. Sie hat ein persönliches Interesse an dieser Reise, und durch sie hatte ich manchmal das Gefühl den echten Louis kennenzulernen.

  1. 3
    10. Apr 2018 

    Lebensabenteuer

    Von Anfang an mochte die Mutter das Kind nicht. Und so hat der im 19. Jahrhundert in den Schweizer Bergen geborene Hans Roth es nicht leicht. Der etwas zu klein geratene Hans verlässt früh seine heimatlichen Gefilde. Auf seinem Weg kommt er unter die Fittiche verschiedener Personen und er bereist so die Welt. Er legt sich den weniger unscheinbaren Namen Louis de Montesanto zu. Nicht nur erlebt er Geschichten, er beginnt auch sie auszuschmücken und zu erzählen. Und immer wieder verlässt er Orte und Menschen, niemals mehr kann er einen Ort seine Heimat nennen.

    Ausgesprochen liebevoll gestaltet ist dieser Lebens- und Abenteuerbericht. Seinen Roman bezeichnet der Autor Michael Hugentobler als fiktive Geschichte eines Mannes, der wirklich gelebt hat. Er schreibt von Louis’ Leben und seinen Reisen. Was ist wahr, was kann nicht wahr sein. Als tragisch aber kann man das Leben des Louis de Montesanto bezeichnen. Seit seiner Geburt, so kann man wegen seiner Kleinwüchsigkeit nur sagen, hatte er es nicht leicht. Gemessen daran findet er jedoch immer Menschen, die ihm Arbeit, Essen und Wohnung gegen. Doch so wie er bereits seine Heimat verlassen hat, so verlässt er auch später seine Gönner. Nur während der kurzen Zeit seines Erfolges als vermeintlicher Darsteller wahrer Erlebnisse, ist er auf der Höhe seines Lebens. Schnell jedoch ist es damit vorbei, als herauskommt, dass er doch das Meiste erfunden hat.

    Wie geht man am Besten an ein Buch eines Genres heran, das man sonst eher weniger liest. Möglichst unvoreingenommen natürlich. Was aber, wenn es einem dennoch nicht so recht liegt. Trotzdem kann man die abenteuerlichen Erlebnisse des Protagonisten genießen, sich amüsieren über seine Ausschmückungen, die Tragik seines Lebens nachempfinden. Die Nachforschungen der Tochter bringen sogar Spannung in die Geschichte. Allerdings etwas distanziert und beschreibend bleibt der Ton und das ist, woran sich entscheidet, ob man diesen Bericht gebannt inhaliert oder doch zwar mit Wärme aber doch eher aus der Ferne die Handlung verfolgt. Eine Lektüre, die für Liebhaber des Genres ein tolles Leseerlebnis bietet und die anderen einen interessanten Einblick in ein ungewöhnliches Leben gewährt.
    3,5 Sterne

  1. 4
    10. Apr 2018 

    ein Schelmenroman

    Ein Schelmenroman über einen Schweizer, der in die weite Welt hinauszog und allerlei Abenteuer erlebte. Oder auch nicht.

    Als Hans Roth Mitte des 19. Jahrhunderts in einem kleinen Dorf in der Schweiz auf die Welt kommt, ist er bereits anders als andere Kinder. Ein großer Kopf, ein kleiner Körper. Scheinbar hat er den Aufenthalt im Mutterleib vorzeitig abgebrochen. Ihn zieht es hinaus in die Welt. Mit den Jahren erweist sich sein Dorf als zu klein für ihn, auch wenn er irgendwann das Wachsen einstellt und fortan als Kleinwüchsiger durch die Weltgeschichte geht. Er verbringt einige Jahre seines Lebens als Diener und Butler in unterschiedlichen Anstellungen, die ihn jeweils ein Stückchen weiter weg von seiner Heimat und seiner Vergangenheit bringen. Aus Hans Roth wird Louis de Montesanto, der sein Glück in der Ferne sucht. In weiter Ferne. Um genau zu sein in Australien. Er bereist den roten Kontinent, landet schließlich im tiefsten und unerforschtesten Busch Australiens in einem Eingeborenen-Dorf, in dem er einige Zeit verbringen wird. Wieder zurück in der Zivilisation macht er seine Erlebnisse zu Geld. Er publiziert seine Abenteuer. Die Menschen lieben seine Geschichten. Und so wird er herumgereicht, erzählt den Leuten das, was sie hören wollen. Doch er hat nicht nur Fans. Auch seine Kritiker melden sich zu Wort, mit erheblichen Konsequenzen für Louis.

    "'Bloß weil wir ihm unsere Ansicht von richtig und falsch aufdrücken, verlieren wir gerade einen der größten Erzähler unserer Zeit.'" (S. 161)

    Die Figur des Louis de Montesanto ist in Anlehnung an einen Entdecker und Abenteurer namens Louis de Rougemont (ebenfalls Schweizer) entstanden. Der Autor Michael Hugentobler macht es dem Leser allerdings nicht leicht, sich mit "seinem" Louis anzufreunden. Louis bleibt seltsam anonym, seine Beweggründe für seine Reisen sind kaum zu verstehen. Hinzu kommen ein paar Wesenszüge von Louis, die ihn als egoistisch und verächtlich gegenüber anderen Menschen erscheinen lassen. Sollte ich Louis darüberhinaus charakterisieren, ich könnte es nicht. Louis bleibt dem Leser fremd.
    Nun brauche ich als Leser nicht unbedingt einen Sympathieträger als Protagonisten. Ich komme auch mit Fieslingen zurecht. Aber auch das ist Louis nicht. Ich gebe zu, dass mich diese Anonymität von Louis ein wenig irritiert hat.

    Im Verlauf der Handlung entwickelte sich der Roman für mich zu einem Schelmenroman, der mich sehr stark an Münchhausens Geschichten erinnert hat und mir einen anderen Ansatz bot, die Geschichte zu verstehen. Die Handlung ist ein Spiel mit der Wahrheit. Louis ist ein Geschichtenerzähler, wobei er seinem Publikum genau das erzählt, was es hören will. Er präsentiert sich seinem Publikum auch in derjenigen Rolle, in der es ihn sehen will: als Abenteurer, als Tierbändiger, als Forscher, als Liebhaber einer Wilden. Aber er zeigt nie seine wahre Person - auch nicht dem Leser. Das lässt viel Interpretationsspielraum. Zu einem Ergebnis wird man jedoch nicht kommen.

    "Das Problem war, dachte er, dass der Grat zwischen Fakt und Fiktion schmal und verwirrend und unnötig sei. Die einzig zulässige Version der Wahrheit sei jene, die den Leser sofort in ihren Bann ziehe, die auf die Sehnsüchte der Menschen abziele - nach Größe, Humor und Stärke in diesem tristen Leben. Eine seltsame Wahrheit, ja: eine absurde Wahrheit." (S. 110)

    Die stilistischen Mittel, die Michael Hugentobler für seinen Roman gewählt hat, fordern den Leser auf eine sehr ansprechende und amüsante Art: kurze Kapitel, Wechsel in den Erzählperspektiven, Sprünge innnerhalb unterschiedlicher Zeitebenen, Wechsel der Schauplätze. Das hält den Leser auf Trapp. Denn Michael Hugentobler gibt keine Hinweise darauf, wer, wann und wo gerade erzählt. Das Wer-wann-und-wo erschließt sich erst, wenn man ein paar Sätze eines Kapitels gelesen hat. Hinzu kommt eine gute Portion Humor sowie rätselhafte Andeutungen, die neugierig machen und sich erst im Verlauf des Romans auflösen.

    Fazit:
    Es fällt mir nicht leicht, eine Wertung für diesen Roman abzugeben. Die Buchbeschreibung suggeriert einen Roman über einen Exzentriker, der die Welt bereist und über seine Abenteuer berichtet. Doch für mich steckt mehr dahinter. Für mich steht das Spiel zwischen Wahrheit und Fiktion im Vordergrund, so dass der Charakter des Protagonisten fast zur Nebensache wird. Ich fühlte mich von Michael Hugentobler in die Rolle des Publikums hineinversetzt, das nur dann zufrieden ist, wenn es genau das zu hören bekommt, was es hören möchte. Ich wollte einen Abenteuerroman, den ich nicht bekommen habe und müsste deshalb enttäuscht sein von diesem Buch. Doch das bin ich nicht. Ganz im Gegenteil. Mir hat das Spiel mit der Wahrheit mindestens genauso gut gefallen. Ich muss kein Freund des Protagonisten sein. Ich mochte Louis' Geschichten. Und ob er jetzt auf der Schildkröte geritten ist, oder nicht, ist mir egal. Aber der Gedanke, dass er es getan haben könnte, wie so viele andere Dinge, von denen er berichtet, ist einfach nur schön.

    © Renie

  1. Reiseroman

    Das ist ein Buch, das ins Auge springt. Eine sorgfältige Hardcover Ausstattung, Zeichnungen von exotischen Pflanzen akzentuieren die Buchecken und über dem Titel sieht man einen Herrn in eleganter Reitkleidung mit Hut und Reitgerte auf einer Schildkröte. So wird der Titel „Louis oder der Ritt auf der Schildkröte“ symbolisiert.
    Louis de Montesanto scheint auf der Höhe seines Ruhmes zu sein. Ein gefragter Redner vor Londoner Publikum, Liebling der Presse und der Society. Sein Buch wurde ein Bestseller und er genießt den Luxus, den sein Erfolg ihm ermöglicht. Seine Geschichte ist abenteuerlich und trifft genau den Nerv der Zeit. Jahrzehntelang als Abenteurer unterwegs, lebte er dann für lange Zeit bei einem Aborigine Stamm in Australien. Es scheint die Sprache zu sprechen, berichtet von seiner wunderschönen Töchter, nicht braun – nicht weiß. Doch der Ruhm ist nur von kurzer Zeit – Louis ist ein Lügner.
    Der Autor berichtet vom jungen Hans, der in einem kleinen Schweizer Bergdorf zur Welt kam. Ein ungeliebtes, kleinwüchsiges Kind, das schon früh weglief um sich in der Welt durchzuschlagen. Er reist mit einer Schauspielerin, wird Diener, aber nie hält er es lange aus. Er muss weiter. Seine Sehnsucht nach dem Abenteuer ist übermächtig. Er sieht sich als neuer Robinson.
    Ein Buch, dessen Beschreibung und äußere Gestaltung mich sofort angesprochen hat, mit dem ich leider zu keiner Zeit der Lektüre so richtig warm wurde. Louis Reisen, seine Abenteuer haben mich nie gepackt, ich habe keine rechte Verbindung herstellen können. Ich fand die Beschreibungen oft langatmig, belang- und zusammenhangslos. Es gibt immer wieder Passagen und gelungene Formulierungen, die mir gefallen haben und bis weit nach der Hälfte hatte ich Hoffnung, dass auch bei mir endlich der Funke überspringt.
    Es ist keine Abenteuergeschichte, auch keine Beschreibung eines Exzentrikers, es ist vielleicht am ehesten die Suche nach einen Mann, der sich selbst immer wieder neu erfand und letztendlich selbst nicht mehr wusste, was ist Lüge, was ist Traum, was ist echt.
    Jedes Buch muss zum Leser passen und hier habe ich eins der seltenen Beispiele, wo ich gestehen muss, es hat bei mir leider nicht gepasst.

  1. 3
    09. Apr 2018 

    Unerzählt bleibende Abenteuer

    In der Whatchareadin-Leserunde habe ich Michael Hugentoblers „Louis oder der Ritt auf der Schildkröte“ gelesen und machte mich auf in ein Lesevergnügen über einen in der Vergangenheit, als Reisen noch ein wirkliches Abenteuer war, angesiedelten Abenteurer gefasst. Denn ich erfahre aus dem Klappentext: „Louis war 1898 berühmt geworden durch seine sensationelle Lebensgeschichte.“ Und die Illustrationen im Buchdeckel versprechen irre Gestalten aus den exotischen Gegenden der Erde. Also: auf ins Lesevergnügen zu einer „Travel without moving“ in Zeit und Raum!
    Der Beginn des Buches machte es mir leicht: Der Autor führt den Leser in die Geschichte hinein zu einem Zeitpunkt, wo Ruhm und Anerkennung des Abenteurers anschaulich bröckelt. Bei einem Vortrag vor großem Publikum wird nicht nur verbal seine Glaubwürdigkeit angegriffen und in Frage gestellt, sondern das ganze Fundament seines Redestandpunktes gerät bildlich anschaulich mit dem unsicheren Untergrund von zwei nicht zueinander passenden Holzkisten, auf denen Louis mühsam zu balancieren versucht, ins Wanken. Das ist vom Autor intelligent und komisch gemacht und macht Lust auf mehr.
    Was dann allerdings folgt, kann nur noch punktuell überzeugen und lässt mich als Leserin – neben einigen erfrischenden Lesemomenten, eher unbefriedigt zurück, denn:
    - Der Autor erzählt die Abenteuergeschichte(n) des Louis nicht wirklich. Eher stolpern wir mit ihm an einige Stationen seiner Reisen, ohne die Zusammenhänge erkennen und Geschichten aufnehmen zu können.
    - Der Autor erzählt die Geschichte des Abenteurers Louis, oder Hans, oder Jack, ebenfalls nicht. Der Charakter bleibt unklar und undeutlich. Seine Motivationen, Gefühle und Eigenschaften bleiben unausgelotet.
    - Der Autor erzählt wohl am ehesten die Geschichte des Scheiterns von Louis, aber da wir weder die dahinterliegenden Abenteuer und Geschichten kennen, noch uns in seinen Charakter einfühlen können, bleibt mir als Leserin dieses Scheitern ziemlich egal. Ich bleibe unberührt und konnte in keine Tiefen der Geschichte eintauchen.
    Ich bin – um den Titel aufzugreifen - irgendwie über die Geschichte geritten und lasse sie ohne Folgen und Erkenntnisse gern hinter mir. Leider!

  1. Ein exzentrischer Reisender

    Der Schweitzer Journalist Michael Hugentobler, der nach Angaben seines Verlages (dtv) die ersten 13 Jahre seines Erwachsenenlebens auf Weltreise verbrachte, hat 2018 seinen ersten Roman veröffentlicht: "Louis oder der Ritt auf der Schildkröte."
    Der Roman erzählt die Geschichte des sehr exzentrischen Reisenden Louis de Montesanto. Diese Romanfigur wiederum bezieht sich auf eine historische Person, einen gewissen Louis de Rougemont, einen Hochstaber der im 19. Jahrhundert in London berühmt wurde mit seinen - wie sich später herausstellte - erfundenen Geschichten über sein Leben als Häuptling bei den Aborigines in Australien. Dabei war dieser historischer Louis lediglich Inspiration für den Roman, es handelt sich also nicht um einen Versuch das reale Leben dieses Mannes nachzuempfinden, sondern um eine fiktive Geschichte mit erdachten Charakteren.

    Der Autor beschreibt den Lebensweg und insbesondere die verschiedenen Reisestationen des Protagonisten. Dies nicht in chronologischer Reihenfolge, sondern mit zeitlichen Rück - und Vorblenden.
    Wir erfahren, dass Louis als Hans Roth in einem kleinen Schweitzer Dorf geboren wurde und dort in ärmlichen und vor allem lieblosen Verhältnissen aufgewachsen ist. Hans war kleinwüchsig mit einem unpropotional großen Kopf, ein Grund dafür, dass er von seiner Mutter und von Gleichaltrigen abgelehnt wurde. Schon mit 13 Jahren läuft er von zuhause weg und wird ab da immer unterwegs sein. Er lässt sich treiben, nimmt jede Gelegenheit, die sich ihm zufällig bietet wahr, um wieder zu einem neuen Ort weiterzureisen. Dabei gelangt er als Butler des britischen Gouverneurs nach Perh, Australien und dort wiederum, eigentlich ohne dass er das beabsichtigt hätte, zu einem Stamm der Ureinwohner Australiens. Später wird er die Erlebnisse bei den Aborigines mit Lügen und Übertreibungen ergänzen und in London an Zeitschriften verkaufen, bis sein Schwindel auffliegt.

    Um was geht es in diesem Roman, was genau wird thematisiert?
    Aus meiner Sicht zunächst einmal um die Person Louis, um seine Gründe für das Verlangen immer weiter zu ziehen, ständig Bindungen abzubrechen, sich über Regeln hinwegzusetzen und vor allem um seine Neigung zu lügen bzw. Phantasiegeschichten zu erzählen. Es ist schwer diesen Protagonisten sympathisch zu finden. Dadurch, dass er in egoistischer Weise immer wieder seinen Bedürfnissen nachgibt, verletzt er ja auch die Menschen, die ihm zugetan sind, insbesondere seine beiden Kinder, die er mit zwei unterschiedlichen Frauen hat. Anderseits wird in dem Roman auch die Zerrissenheit von Louis gut dargestellt. Das wiederum hat mich persönlich mit seinem unsympathischen Charakter etwas versöhnt. Wir lesen auch über die Einsamkeit, die er als Preis für seine Unabhängigkeit zahlen muss. Zuletzt sehnt er sich nach seiner Tochter. Hier habe ich auch einen tragischen Moment in der Figur des Louis de Montesanto empfunden: Mit dem einzigen Menschen, den er selbst geliebt hat, mit seiner Tochter, konnte er wegen seiner Reisesucht nicht zusammen sein.

    Gegen Ende des Romans wird ein weiteres Thema des Romans immer zentraler: Die Frage nach Wahrheit und Fiktion. Louis selbst bewertet eine erfundene Geschichte nicht als Lüge. Zita: S. 110 "Das Problem war, dachte er, dass der Grat zwischen Fakt und Fiktion schmal und verwirrend und unnötig sei."
    Es geht dabei nicht nur um den "Lügner" sondern auch um diejenigen, die die Lügen glauben. Wie Michael Hugentobler zunächst die Begeisterungsstürme des Londoner Publikums über die Lügengeschichten und dann - als der Schwindel aufgedeckt wurde- die Reaktionen der Presse, und verschiedener Interessengruppen darstellt, das macht Spaß zu lesen. Plötzlich wollen alle gewusst haben, dass das Alles nicht wahr gewesen sein kann. Dabei werden auch Dinge als Absurd dargestellt, die vielleicht doch so stattgefunden haben könnten. Man wird also als Leser selbst aufgefordert über Lüge und Wahrheit und die Grenze dazwischen, nachzudenken.

    Zuletzt noch eine subjektive Bemerkung zum Erzählstil. Der Autor schreibt in kurzen, nüchternen Sätzen, die sich für mich nicht immer angenehm zu einem Gesamtbild verbunden haben. Teilweise wirkt die Geschichte etwas unverbunden, was auch daran liegt, dass zumindest in der ersten Hälfte des Buches in jedem Kapitel ein anderer Zeitabschnitt, ein anderer Ort oder auch eine andere Person erscheint. In unserem Lesekreis haben Andere diesen Stil allerdings als eher spannend empfunden.

    Insgesamt ein Roman der sich aus meiner Sicht nicht immer flüssig liest, der aber spannende Fragen thematisiert.

  1. 3
    02. Apr 2018 

    Ein interessanter Abenteuer/Reiseroman

    Hinter dem Buchtitel lässt sich ein Abenteuerroman vermuten, und nicht nur das, sondern auch etwas Skurriles. Denn auf einer Schildkröte zu reiten stelle ich mir unmöglich vor. Sicher gibt es Schildkröten mit großen Panzern, aber ob man darauf reiten kann, aus meiner Sicht, nein, da sie von der Geschwindigkeit her viel zu langsam sind. Dies klärt sich im Verlauf der Geschichte von selbst. Das Cover an sich finde ich wunderschön. Da hat sich der Verlag etwas einfallen lassen. Nicht so ein Nullachtfünzehn-Cover, wie man es immer häufiger auf dem Buchdeckel zu sehen bekommt, das außerdem leicht austauschbar ist.

    Ein Abenteuerroman? Ich habe ihn eher als einen Reiseroman erlebt.
    Bevor ich mit dem Buch angefangen habe zu lesen, fragte ich mich, wer Louis sein könnte? Louis hieß ursprünglich Hans Roth und ist in der Schweiz 1849 in den Bergen geboren. Weil Hans eher kleinwüchsig auf die Welt gekommen ist, und sein Kopf im Verhältnis dazu recht groß wirkte, hatte seine Mutter ihn abgelehnt. Sie konnte sich keine Zukunft für Hans vorstellen, und gibt ihrem Kind immer wieder zu verstehen, dass er in der Welt überflüssig sei.

    Hans ist ein Arbeiterkind, der Vater war von Beruf Kutscher, als dieser vier Jahre nach seiner Geburt zusammen mit der Kutsche von den Bergen stürzte …
    Hans wurde von anderen Kindern wegen seines Aussehens mit Zwerg vom Berg gehänselt, doch er ließ sich nicht unterkriegen. Mit 14 Jahren zog er von zu Hause aus, um von Ort zu Ort die Welt zu bereisen. Zu Hause hielt ihn nichts mehr.

    Mit seinem Namen Hans Roth fühlte er sich unwohl, weshalb er in eine andere Identität namens Louis Montesanto schlüpfte. Wie es dazu kam, ist dem Buch zu entnehmen.
    Louis Montesanto machte sich einen Namen als ein französischer Weltenbummler, der Reiseberichte über die Aborigines Australiens geschrieben hat. Niemand stellte seine Berichte infrage, alle glauben ihm, bis eines Tages Lügen aufgetischt werden. Louis Montesanto entpuppte sich nicht nur zu einem wissbegierigen und weisen Menschen, er entpuppte sich auch zu einem hochnäsigen Hochstapler. Schon auf den ersten Buchseiten wird man mit seinen Lügen konfrontiert, nicht nur, was der Inhalt seines Referates betrifft, sondern auch seine geschwindelte Identität, sodass Hans Roth aus dem Saal fliehen musste …

    Hans Roth ist zwar eine fiktive Figur, doch sie ist angelehnt an Louis de Rougemont, ein Schweizer, ein Abenteurer, den es tatsächlich gegeben hat. Dieser reale Louis wurde 1847 geboren und starb 1921. Ich kann nicht mehr sagen, wo ich das nachgelesen habe …
    Mehr möchte ich nicht verraten. Alles Weitere wird in der Leserunde besprochen. Aber Vorsicht, wer nicht zu viel im Vorfeld über dieses Buch erfahren möchte, diesen LeserInnen rate ich von der Leserunde ab.

    Mein Fazit?
    Mir kamen die Figuren alle ein wenig kühl vor. Ich hatte Mühe, sie zu verinnerlichen. Aber später schließlich, als ich mehr Hintergrundwissen hatte, konnte ich mich besser in diese Figuren hineinversetzen.
    Hans Roth/Louis Montesanto ist absolut kein Sympathieträger aber für das, dass er ohne Mutterliebe aufwachsen musste, hat er das Beste aus seinem Leben zu machen gewusst. Wenn es nach seiner Mutter gegangen wäre, hätte Hans Roth vor der Gesellschaft wegen seines äußeren Erscheinungsbildes im Haus versteckt werden müssen.

    Mir persönlich hat ein wenig die Authentizität der Figuren gefehlt. Viel zu kühl, viel zu distanziert kommen mir die Figuren rüber. Man hätte mehr erfahren sollen, was in den ProtagonistInnen innerlich vorgeht, weshalb sie handeln wie sie gehandelt haben ... Oder was sie denken? Was sie fühlen? Dadurch habe ich die Lesefreude vermisst. Viel zu kopflastig.

    Auf meinem Blog habe ich dem Buch zehn von zwölf Punkten vergeben.

  1. Historischer Reise-Roman

    Der Roman orientiert sich an der historischen Person Louis de Rougement, dessen Buch "The Adventures of Louis de Rougement As Told by Himself" 1899 erschienen ist und der einige Jahre bei einem Stamm der Aborigines in Australien gelebt hat. Hugentobler antwortet auf die Frage, welchen fiktiven Anteil sein Roman habe, "dass die Geschichte einen wahren Kern hat, aber dass auch vieles fiktiv ist."
    Einige der im Roman geschilderten Figuren haben gelebt, aber ihre Charaktere und ihr Verhalten habe er verändert. "Ein Spiel mit der Illusion: Wie viele Details braucht ein Leser, um zu glauben, etwas sei wahr, auch wenn es allenfalls erfunden ist." (Forum whatchareadin, Autorengespräch)

    Worum geht es?
    Der Roman beginnt mit dem misslungenen Vortrag Louis de Montesanto vor der Royal Geographical Society im Jahr 1898 über seinen Aufenthalt bei den Aboriginies, der mit subtilem Humor geschildert wird. Als ein Reporter ihn der Lüge bezichtigt und seinen Geburtsnamen "Hans Roth" ausspricht, geht der kleinwüchsige Mann auf Tauchstation.

    "Das war der Moment, als er sich hinter das Rednerpult duckte. Für eine Sekunde hatte er das Geühl, er sei unsichtbar geworden." (S.11)

    Die Handlung springt zurück ins Jahr 1849, zu Hans Roth Geburt in einem kleinen Schweizer Bergdorf. Die herbeigerufene Hebamme glaubt, seine Mutter könne unmöglich im 9.Monat schwanger sein, da ihr Bauch so klein ist - genauso klein wie der Junge, der jedoch einen unverhältnismäßig großen Kopf hat. Ein Umstand, der ihn zum Gespött der anderen Kinder macht.

    "Von Anfang an mochte die Mutter das Kind nicht. (...) Die anderen Kinder warfen Dreck und faule Zwiebeln nach Hans. Einmal sperrten sie ihn in ein Butterfass, und er hörte sie draußen lachen. Sie trieben Nägel in den Deckel." (S.14)

    Nachdem sein Vater betrunken mit seiner Kutsche den Felsen hinunterstürzt, heiratet die Mutter einen reichen Bauer und lässt den 13-Jährigen allein zurück, so dass er ins Tal flüchtet. Jahre später, nachdem er berühmt ist, wird es ein Museum im Dorf geben.
    Jenes besucht 1961 Old Lady Long aus Australien, die Hans oder Louis, wie er sich später genannt hat, aus ihrer Kindheit kennt. Sie muss also zu jenem Stamm der Aborigines gehören, bei denen er gelebt hat. Die Besuchertafel gibt folgende Daten preis:

    "Geboren am 12.Mai 1849, Entdecker des Stamms der Martu in Australien, Bestsellerautor, Empfang durch die Royal Geographical Society Großbritanniens, Tod in London am 9. Juli 1921." (S.18)

    Sie entdeckt vergilbte Autogrammkarten, die den Titel des Romans erklären:

    "Auf der Illustration war ein magerer Mann zu sehen, bis zu den Hüften im Wasser, zwischen seinen Beinen der glänzende Panzer einer Schildkröte, und es sah aus, als wolle der Mann auf der Schildkröte reiten." (S.21)

    Wer ist diese alte Frau und warum möchte sie von Louis Abschied nehmen?
    Die Frage wird zurückgestellt, denn zunächst erfahren wir chronologisch, welchen Weg Hans bzw. Louis nimmt, bis er schließlich in Australien landet.
    Er verbringt einen Sommer bei dem Cannabis rauchenden Pfarrer Sägesser, der seiner Zeit in Indien nachtrauert. Gerät an die britische Schauspielerin Emma Campell, die die Behandlung der Sklaven auf der Plantage ihres Mannes angeprangert hat, worauf sich ihr Mann von ihr scheiden ließ. Von ihr erhält er seinen neuen Namen. Sie vermittelt ihn an einen Bankier, der ihn wiederum zu Sir Willaim Stevenson schickt, der zum Gouverneur einer Kolonie in Australien berufen wird.
    Louis ist sein Butler, einer, der das übrige Personal schikaniert und Lügengeschichten erzählt:

    "Abend erzählte er den Bediensteten, er sein französischer Edelmann italienischer Abstammung und nur hier, um Demut zu erlernen." (S.47)

    In dieser Szene hebt der auktoriale Erzähler die Distanz auf und offenbart die Gefühle Louis, der von den anderen gehasst wird. Er fragt sich, warum er die Gesellschaft von Menschen nicht suche und ihm Bindungen ein Graus seien. Das mag mit der Zurückweisung seiner Mutter zusammenhängen, mit den Erfahrungen seiner Kindheit. Er selbst hat keine Liebe erfahren und entwickelt sich zu einem wenig empathischen Einzelgänger.

    In Australien verlässt er den Gouverneur und gerät auf abenteuerlichem Weg zu den Aborigines, unter denen er tatsächlich einige Zeit lebt. Er "heiratet" die schöne Yamba, die er liebt (?), zumindest benutzt er sie, "um sich ein Gefühl von Freiheit zu verschaffen." (S.79)

    Der Drang nach Freiheit erklärt vielleicht seine Ruhelosigkeit, seine Reiselust und vielleicht auch seinen Widerwillen sich anzupassen.
    Die Ausgrenzung, die er seit früher Kindheit erfahren hat, setzt sich auch im Stamm fort und liegt darin begründet, dass er nicht in der Lage ist, ihre Gesetze und Regeln zu verstehen oder aber zu befolgen. Der Erzähler erlaubt nur kurze Einblicke in Louis Gedanken, so dass wir über seine Motivation und die Hintergründe seines Verhaltens nur spekulieren können.
    Der Weg bis zu seinem Vortrag im Jahr 1898 ist steinig und mühsam, doch unbeirrbar verfolgt Louis das Ziel, seine Geschichte zu erzählen. Ist sie wahr? Warum wird er als Lügner bezeichnet?
    Darauf gibt der Romane interessante Antworten, denn Louis fragt sich,

    "ob Wahrheit für eine Geschichte überhaupt nötig sei." (S.70)

    "Das Problem war, dachte er, dass der Grat zwischen Fakt und Fiktion schmal und verwirrend und unnötig sei." (S.110)

    Und so dehnt er die Wahrheit und hat durchschlagenden Erfolg - bis er entlarvt wird.
    Humorvoll wird die Demontage des letzten Abenteurers erzählt, eigentlich unglaublich, was die Menschen alles für bare Münze genommen haben, um ihre Vorurteile bestätigt zu sehen und unterhalten zu werden. Da hält Hugentobler auch der heutigen Gesellschaft schonungslos den Spiegel vor.

    Bewertung
    Ich finde die Geschichte und das Leben von Louis de Montesanto interessant, ebenso die geschilderten Sitten, Traditionen und Bräuche der Aborigines. Dem Autor gelingt es die einzelnen Figuren mit wenigen Sätzen treffend zu beschreiben und viele Szenen weisen einen subtilen Humor auf.
    Allerdings sorgt die distanzierte Erzählweise, die nur wenig Einblicke in die Gefühle und Gedanken der Protagonisten zulassen, dafür, dass sich der Roman wie ein Bericht liest, nüchtern und sachlich. Ausnahmen bilden die Kapitel, in denen Old Lady Long im Mittelpunkt steht, sie ist die einzige Sympathieträgerin, während Louis/Hans als Mensch erscheint, dem jegliche Empathie fehlt. Einzig seiner Tochter, die er gemeinsam mit Yamba hat, bringt er Liebe entgegen. Die Szene, in der er über sie spricht, zeigt ihn als mitfühlenden Menschen.

    Positiv kann man festhalten, dass er keine Vorurteile gegenüber den Aborigines hat, andererseits hat er "einfach nicht verstanden, nach welchen Gesetzen sie leben würden, und es habe ihn auch nicht interessiert." (S.103)
    Er ist ein Außenstehender, der die zwischenmenschliche Kommunikation und Interaktion nicht zu verstehen scheint, Ausnahme bildet seine Tochter.

    "Die einzig zulässige Version der Wahrheit sei jene, die den Leser sofort in ihren Bann ziehe" (S.110).

    Und das ist Hugentobler mit seiner Geschichte nur bedingt gelungen, da die Figuren auf Distanz bleiben, keine Nähe zwischen ihnen und den Leser*innen entsteht. Es bleibt die interessante Lebensgeschichte eines "unerträglichen Widerlings" (S.148), der aus seiner Welt ausgebrochen ist.